Die Inselquerung geht weiter
Glyfada, ein beschaulicher Ort direkt am Strand. Aber weit ab vom Weg. Der Gedanke verfolgt mich die ganze Nacht, dass ich diese fiese Serpentinenstraße am Morgen zusätzlich hochlaufen muss. Und zwar einfach nur entlang der Straße. Trotzdem kann ich sagen, es war den Sonnenuntergang am Strand wert.
Ist man aber auf der Strecke, kann einen sowas schon mal zum Fluchen bringen. Glücklicherweise wird mein Fluchen wohl gehört und zwei Rentner freuen sich über meine kurze Gesellschaft in Ihrem Auto. Sie bringen mich bequem zurück auf dem Weg, obwohl es nur noch einige 100 Meter waren, freut es mich sehr und wir hatten Zeit über das Leben als Rentner auf Korfu zu sprechen.
Über Vatos, Giannades und Liapades soll es heute Richtung Paleokrastrisa gehen. An einigen Stellen kann man schon Blicke auf das nördlich liegende Gebirge erhaschen und den höchsten Berg Korfus erahnen.
Eigentlich dachte ich mit der Ankunft in der kleinen Ortschaft Liapades, dass ich mir nun Zeit lassen kann. Es ist ja schließlich nicht mehr weit bis zu meinem Ziel…, wenn ich geahnt hätte, welch Irrweg mir noch bevorsteht.
Zunächst einmal ist der Weg aus der Ortschaft das Problem. Denn der Trail führt mitten über ein Hotelgelände. Auf den Weg wurde auch der Hotelpool gebaut. Somit laufe ich fröhlich an den sonnenbadenden Hotelgästen und den planschenden Kindern vorbei. Ein Urlauber sprach mich verwundert an. Ich war nicht die Erste, die heute den Pool querte und dann hinten einfach über einen Bretterzaun im Wald verschwand.
Noch völlig verwirrt vom Weg am Pool entlang, verliere ich gleich daraufhin wieder den Weg…schon wieder. Allerdings merke ich mein Irrweg erst, als ich es schaffe einen Steilhang mit Dornen hochzuklettern. Völlig außer Atem, zerkratzt und im Adrenalinrausch finde ich oben angekommen die Zeichen des Trails, die einen Weg kennzeichnen, der locker flockig den Berg raufführt. Nun denn… wieder einmal den Körper richtig gefordert. Mit Dornenzupfen beschäftigt trabe ich weiter Richtung Paleokastritsa.
In Paleokastritsa ist für mich erst einmal ein Pausentag geplant. Der kleine Ort mit den paradiesblauen Buchten bietet einige Strände, ein sehenswertes Kloster und einen gemütlichen Hafen. Ich nutze die Zeit, um alles zu erkunden und meinen anderen Hobbies nachzugehen, Fotos und Musik zu machen.
Als es endlich weitergeht, nehme ich den direkten, steilen Weg aufwärts nach Lakones. Im Grünen, entlang von Steinmauern und Olivenbäumen scheint es mir angenehmer, als erneut den gesamten Ort zu queren. Der Aufstieg geht auch schneller als gedacht, denn hier habe ich meine erste Begegnung mit einer Schlange. Das aggressive Zischen bringt mich auf Trab und ich renne den Berg im Eiltempo hoch. Immer mit dem Gedanken, dass ich gerade einer tödlichen Hornviper entwischt bin. Oben in Lakones angekommen schaue ich noch einmal zurück auf die blauen Buchten und genieße mal wieder einen Kaffee.
Der Weg ist anschließend wirklich sehr angenehm zu laufen, ja gerade entspannend nach den vielen Aufstiegen. Es geht immer seicht bergab und schon bald kann man den Ort Agios Georgios sehen. Ein asphaltierter Weg führt entlang einer Felsenklippe mit Blick auf das Meer und Agios Georgios abwärts. Irgendwie ist alles zu schön, um wahr zu sein und ich verbringe hier eine lange, ausgedehnte Pause und verliere mich bei diesem herrlichen Ausblick. Über die Mauern huschen Smaragdeidechsen und hin und wieder schlendert ein einheimischer Bauer oder ein Tagesausflügler vorbei.
Agios Georgios scheint zum Greifen nah und die Tagesdistanz ist heute wirklich angenehm. Der Weg ist ja bekanntlich das Ziel, also mache ich mal wieder eine lange Pause und erkläre diese Etappe zu einer der schönsten Etappen des ganzen Weges.
Es liegt wohl einerseits an der sehr überschaubaren Beschilderung, als auch an meiner sturen Art nicht immer umzukehren, wenn ich den Weg mal verliere. Ein etwas eigenwilliger, äußerst rutschiger Weg durch das Dickicht lässt sich ja immer finden. Die Orientierung habe ich in dem über mich ragenden Farnen, Büschen und Bäumen schon lange verloren, also folge ich einfach der einzigen Möglichkeit, die sich zeigt. Dem pfadähnlichen Matschweg, der steil abwärtsführt. „Danke“, denke ich mir, mit liebevollem Blick auf meine Stöcke. Die mich einerseits vorm absoluten Abrutschen als gleich auch gefühlt vor den überall lauernden Schlangen retten. Ein paar Mal lande ich trotzdem auf dem Hintern. Kleidung und Hände geteert mit Lehm und gefedert mit Gestrüpp. Über den Dschungelweg in Indonesien kann ich gerade nur schmunzeln, denn gefühlt ist dies deutlich mehr Dschungel als ich jemals erwartet habe. Erst zum Sonnenuntergang erreiche ich Agios Georgios.
Der Weg, der die nächsten Tage vor mir liegt, zeichnet sich durch eine Sache aus: Es geht aufwärts – nur. Bis hoch zum höchsten Berg Korfus auf 906 Meter. Verglichen mit den Alpen hört sich das nicht viel an, ist es vielleicht auch nicht. Trotzdem fordert es viel Energie, Orientierungssinn und Kreativität bei der Wegfindung.
Es geht über die beschaulichen Bergorte Pagi, Agros und Valanio bis nach Sokraki. Neben spektakulären Ausblicken und kräftezehrenden Aufstiegen gibt es für mich dieses Mal zahlreiche Begegnungen mit diversen Schlangen. Wenn man einmal über die ersten Begegnungen weg ist, wird man erst richtig aufmerksam und bemerkt, wie oft eigentlich etwas vom Weg davon schlängelt. Ich habe mir angewöhnt mit Stöcken zu laufen und gleichzeitig möglichst kraftvoll aufzutreten. Nach einiger Zeit wich dies aber eher einem schlurfenden Auftreten…. laut genug war es trotzdem allemal, um die Schlangen zumindest zu warnen.
Ich habe erst später beim nächsten Gespräch mit einem freudigen Griechen erfahren, dass die Hornviper nicht wie andere Schlagen bei Bedrohung davonschlängelt, sondern verharrt. Gute Information und wieder was gelernt.
Sokraki ist als Anlaufstelle wirklich empfehlenswert. So viel Gastfreundschaft, die herrliche Lage und die netten Cafés im Ort machen diesen Ort unfassbar gemütlich und man möchte am liebsten länger bleiben.
Das Gebirgsmassiv immer im Blick, durchwandert man Spartilas verwinkelte Gassen. Ab Spartilas erfolgt der anstrengendste Teil der Strecke, hinauf zum Pantokrator. Das unkontrollierte Verlangen der Vegetation den Weg einzunehmen sorgt stellenweise dafür, dass Rucksack oder Kopf im Gebüsch hängen bleibt.
Oben angekommen belohnt der Ausblick bis nach Albanien, sofern das Wetter es zulässt, für die zwickenden Waden. Mein Weg führt nun wieder abwärts bis nach Nisaki. Alternativ gibt es oben am Berg eine Abkürzung zur nächsten Etappe. Für mich heißt es wieder runter bis auf Meereshöhe.
Im eiskalten, türkisfarbenen Wasser belohne ich mich und meine Füße für den tollen Tag. Endlich habe ich auch wieder Zeit etwas Ukulele am Meer zu spielen.
Auf der letzten Etappe des Trails geht es erst einmal wieder hoch, ja fast an den Pantokrator, den ich schon am vorherigen Tag erklimmen konnte. Die meisten Unterkünfte liegen an der Küste, daher muss der, der nicht mit Zelt oder Biwak unterwegs ist wohl oder übel einen erneuten Aufstieg wagen. Das Gute ist, es lohnt sich.
Über den Ort Porta und das Ruinendorf Mengoulas geht es hinauf bis zu einem überdachten Picknickplatz. Man kann es kaum fassen, ein überdachter Platz mit Bänken und einem Tisch! Ich bin völlig hin und weg. Hier trifft auch die Abkürzung vom Pantokrator auf den Hauptweg.
Rund um den höchsten Berg der Insel trifft man häufiger auf Tageswanderer. Viele von Ihnen starten im Ruinendorf Perithia, dass auch ich quere. Man trifft also auf relativ viel Gegenverkehr. Das Ruinendorf hat kaum etwas von der Ruhe und Einsamkeit der anderen Ruinendörfer. Hier wird touristisch gesehen einiges aufgefahren.
Bars, Restaurants und Reisebusse voller Menschen.
Ich durchlaufe den Ort also schnell und suche mir lieber später ein ruhigeres Rastplätzchen. Die wieder vollkommen verlassene Schlucht und der wunderschöne Waldweg bis Vasilika lassen mein Herz höherschlagen. Es summen tausende Bienen und Hummeln um einen herum. So viele verschiedene Blumen säumen die Steilhänge des Berges.
Erst mit Erreichen der Küste hat man wieder Verpflegungsstellen. Es ist also darauf zu achten, dass man sich entweder direkt im Ruinendorf mit den Touristen den Bauch vollschlägt oder genug mit sich trägt.
Es ist fast ein wenig traurig die letzten 5 Kilometer des Weges zu laufen. Obgleich sie wunderschön sind. Durch blühende Magaritenwiesen, entlang des Strandes und dem peitschenden Wasser, welches auf Felsen prallt. Eine Mischung aus Vorfreude auf das Ziel aber auch Wehmut machen sich breit. Ich genieße die letzten Schritte auf dem Korfu Trail, zum Greifen nah an der albanischen Küste.
Der Zielpunkt ist die Kirche in Agios Spiridon. Ich bin da. Ein komisches Gefühl. Und wie bei vielen anderen Wegen auch, finde ich hier keinen genauen Endpunkt. Ich bin einfach nur da, genieße die letzte Ruhe am Meer und Blicke auf die Berge Albaniens. Sie laden gerade dazu ein sie zu besuchen… man weiß ja nie ?