Unterwegs in der Provence
Ein regnerischer Sonntag im Herbst. Die nächste Woche habe ich frei, was also tun? Da ich nicht fliegen möchte, suche ich gezielt nach nahen und doch fernen Zielen, die ich mit der Bahn gut erreichen kann. Einige Stunden Recherche später steht alles. Die meiste Zeit benötige ich nicht für das Finden eines Weges sondern eher für die passende Bahnverbindung und das Suchen geeigneter Unterkünfte, die in mein Budget passen.
Ziel ist der Süden Frankreichs, Marseille und Umgebung um genau zu sein. Ich war zwar noch nicht in Südfrankreich und Marseille, aber es war weniger die Stadt an sich, die mich in die Region lockte. Durch einen zufälligen Klick auf eine Naturaufnahme der Küstenlinie stand meine Entscheidung fest. Klar strahlendes Wasser mit schroffen Küstenfelsen. Also geht es nun mit dem TGV nach Marseille und weiter mit dem Regionalzug in einen kleinen Küstenort als Basislager. Zuvor müssen aber noch die Wanderroute genau durchdacht werden.
Nationalpark Calanques
Felsklippen aus Kalkgestein in fjordähnlicher Gestalt machen diesen jungen Nationalpark so beliebt. Direkt in unmittelbarer Nähe der zweitgrößten Stadt Frankreichs wurde 2013 der Nationalpark Calanques gegründet. Land und Meer zu schützen und gleichzeitig Menschen die prachtvolle Gegend näher zu bringen soll das Kernziel des Nationalparks sein. Daher findet man hier auch zahlreiche Wanderwege aber auch anspruchsvolle Kletterpassagen, die das Gebiet zwischen Marseille und Cassis durchziehen. Gekennzeichnet sind diese, wenn man sich auf die SAC-Wanderskala bezieht, als Wege zwischen T1 und T5. Zwischen Juli und September sind die Kletterpassagen allerdings zum Schutz der Natur gesperrt.
Einige Wege schließe ich aktuell für mich aus, es soll sich also alles im Rahmen einer Wanderung / Bergwanderung abspielen ohne irgendwelche Kletterpassagen oder Absturzmöglichkeiten. Da diese Optionen im Nationalpark Calanques weniger zu finden sind als sehr anspruchsvolle Bergtouren weite ich mein Wandergebiet etwas nach Osten Richtung Toulon aus.
Markiert sind hier als Streckentouren u.A. der GR51 , der GR98 und der Sentier du Littoral, Sentier. Rund um Marseille, Richtung Westen befindet sich der große Sentier de grande Randonnée 2013.
Um und im Nationalpark selbst befindet sich weitere kürze, aber markierte Wege unterschiedlicher Schwierigkeit.
Die Hafenstadt Marseille
Marseille genießt keinen besonders guten Ruf unter Touristen und das hat sicherlich auch seine Gründe. Bekannt ist die zweitgrößte Stadt Frankreichs für die großen sozialen Disparitäten, Armut, Rassismus, Isolation, der hohen Kriminalitätsrate und der Aussage, dass sie zu den gefährlichsten Städten Europas gehört. Marseille steht also auf der Auswertung des „Crime-Index“ europäischer Städte weit oben.
Marseille ist groß, die Metropolregion Marseille–Aix-en-Provence kommt auf eine Einwohnerzahl von ca. 1.7 Millionen. Die Kernstadt gliedert sich in 16 Arrondissements, nur einige dieser werden überhaupt von vielen Touristen besucht. Für den Tourismus attraktiv sind die Arrondissements 1, 4, 6 und 7, rund um den alten Hafen von Marseille.
Kann man also Marseille als besuchen? Insbesondere als alleinreisende Frau?
Ja! Allerdings sollte man sich in den oben genannten touristischen Gebieten aufhalten und die Dunkelheit, sowie insbesondere dann einsame Gassen und Ecken meiden. Hält man sich an diese Regel sollte man nur die üblichen Probleme in einer Großstadt im Auge behalten wie z.B. Taschendiebstahl.
Tatsächlich habe ich eher weniger Alleinreisende in Marseille gesehen, auch bei mir gab es in der kurzen Zeit in der ich da war, 3 Momente in denen ich mich sonderlich wohl bzw. sicher gefühlt habe. Da ich in der Dunkelheit angereist bin, habe ich vorab die Lage meines Hotels genau geprüft und mir den schnellsten und besten Weg dorthin vom Bahnhof angeschaut. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit 16 zeitweise allein einfach so durch Buenos Aires spaziert bin, war ich dieses Mal deutlich vorsichtiger. Man wird älter und umsichtiger 😉
Hinter der Fassade der Altstadt, durch die man als Tourist gut schlendern kann, steckt die traurige Wahrheit, dass viele dieser Häuser einsturzgefährdet sind. Eine Dokumentation, die das Elend auf dem Immobilienmark Marseilles zeigt, habe ich hier verlinkt.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Die Parole der Französischen Revolution kommt in Marseille leider an seine Grenzen. Die Kluft in der Bevölkerung ist in Marseille so groß, dass immer mehr Wohnareale mit Mauern versehen werden. Zugang haben nur Personen, die dort wohnen. Das dies keine Lösung des Problems ist, sollte klar sein. Solch eingezäunte Wohngebiete befinden sich auch im Umland von Marseille. Bei einer meiner Wanderungen bin ich aufgrund einer Wegsperrung leider über die Küste hineingeraten, die Freude der Anwohner/Innen und des Wärters hielt sich dabei in Grenzen. Zur „Eingrenzung“ bzw. Ausgrenzung in der Stadt Marseille gibt es einen interessanten Bericht des Auslandjournals.
Mit der Bahn unterwegs
Von Frankfurt, über Mannheim, Karlsruhe, Baden Baden fährt ein TGV einmal quer durch Frankreich direkt bis nach Marseille. Die Fahrt dauert 7-8 Stunden und kann ganz einfach über die Deutsch Bahn gebucht werden. Diese Fahrt war sehr angenehm, ruhig und sogar pünktlich und ich würde dies auf alle Fälle wiederholen. Der Zug hält zudem in Straßbourg, Mullhouse, Lyon und in einigen weiteren kleinen Städten. In der 2. Klasse habe ich bei sehr spontaner Buchung für eine Strecke ca. 85€ bezahlt. Ein fairer Preis, finde ich.
Von Marseille aus kann man die gesamte Küste der Provence / Côte d’Azur mit der Bahn erkunden. Die Bahnhöfe sind allerdings oft oberhalb der Küstenorte, entweder man läuft in den Ort hinein oder nimmt dann nochmal einen Bus. Das Bus- und Bahnfahren erschien mir hier allgemein sehr günstig. Z.B. kostet die Fahrt mit dem Bus von Cassis Zentrum zum Bahnhof nur 90 Cent.
Ich empfehle hier die französische Bahn-App SNCF und für Busverbindungen bietet sich die App Moovit an. In den Bussen kann man auch mit Karte oder kontaktlos zahlen.
Die Bahn- und Busfahrten waren immer sehr angenehm und sicher. Man sollte sich aber auf eine Vielzahl an Ticket- und Personenkontrollen durch Bahnpersonal aber auch durch die Polizei einstellen.
Wandern an der Südküste
Schon eine Tour durch die Stadt Marseille gleicht einer Wanderung. Man kann also einen Tag damit verbringen, die Altstadt und den alten Hafen zu erkunden. Anschließend lohnt ein Aufstieg zur Basilika Notre-Dame de la Garde. Als Wahrzeichen der Stadt steht sie auf einem 161m hohen Hügel und bietet einen Blick über die ganze Stadt.
Den besten Zugang zum Nationalpark Calanques hat man über den Küstenort Cassis. Hier ist einiges los und viele Touristen genießen das schöne Wetter in dem kleinen Küstenort. Von Cassis aus steigt mein auf Richtung Porte Miou.
Der GR 51
Über steile Auf- und Abstiege in der Calanque kann man anschließend den Port Pin und mit noch mehr Kilometern die dritte Calanque – En Veau erreichen. Dabei kann man dem GR51 (Sentier de Grande Randonnée 51) von Cassis nach Marseille zurück folgen. Dieser Wanderweg ist ein sehr anspruchsvoller, aufgrund der zahlreichen steinigen Auf- und Abstiege. Trotz der nur 18 Kilometer, sollte man diesen Abschnitt also nicht unterschätzen. Der Untergrund aus Kalkgestein ist zudem ziemlich rutschig, daher sollte man gutes Schuhwerk tragen.
Der gesamte GR51 führt als Balcons de la Méditerranée von der italienischen Grenze bis Marseille und ist in beide Richtungen begehbar. Der gesamte Weg hat eine Länge von über 439 Kilometern und schlängelt sich entlang der Bergzüge etwas abseits der Küste. Wer einen anspruchsvollen aber nicht überlaufenen Wanderweg sucht, sollte sich den GR51 genauer ansehen. Mehr Infos und Kartenmaterial findet ihr hier. Ich bin selbst nur einen Abschnitt des GR51 in der Calanques gelaufen. Eine weitere tolle Quelle möchte ich euch auf Wanderdeluxe verlinken, die einen Abschnitt des Weges über 5 Tage gut beschreibt.
Sentier du Cap Canaille
Der Sentier du Cap Canaille liegt zwischen den Küstenorten Cassis und La Ciotat. Beide Orte sind mit der Bahn erreichbar. Läuft man vom Bahnhof los, kommt man auf eine Etappenlänge von ca. 19 Kilometern. Von Ortskern zu Ortskern hat der Weg eine Länge von ca. 14 Kilometern, kann aber durch ein paar Schleifen verlängert oder auch verkürzt werden. Der Weg ist mit einem gelben Strich markiert.
Allein die Felsformationen an der Küste von La Ciotat sind von atemberaubender Schönheit. Während des steilen Aufstieges musste ich mich immer wieder umdrehen, um den faszinierenden Blick auf die Felsen im Meer zu werfen. Der Anstieg ist extrem steil, führt zunächst aus dem Ort hinaus über Straßen und geht dann in einen Weg mit lockeren Gestein über.
Wer diesen Weg im Sommer wagt, sollte genügend Wasser mitnehmen, auf der Strecke ist man oft der Sonne ausgesetzt und es gibt keine Möglichkeit Wasser nachzufüllen. Bei meiner herbstlichen Tour waren es nur 24 Grad, durch die hohe Luftfeuchtigkeit kam ich dennoch gut ins Schwitzen.
Der Weg schlängelt sich weiter entlang der Steilküste, mal näher mal weiter weg vom Abgrund.
Der Untergrund bleibt anspruchsvoll und fordert im Laufe des Weges die ein oder andere Kletterei auch nahe des Steilhanges.
Immer wieder wird man mit Fernblicken auf die Küstenline und das Meer belohnt. Zeitgleich haben sich interessante Felsformationen gebildet, die es zu bewundern gilt.
Namensgeber des Weges ist das Cap Canaille, eine 362m hohe Klippe. Hier befindet sich auch die höchste Steilküste Frankreichs mit 399 Metern. Neben den optischen Highlights des Weges, weht einem der frische Geruch zahlreicher Kräuter in die Nase.
Je näher man dem Cap Canaille kommt, desto mehr Menschen trifft man an. Hier befindet sich in der Nähe des Wanderweges ein Parkplatz, den viele für einen Fotostop nutzen.
Der Weg endet mit einem steilen Abstieg in den Küstenort Cassis. Auf dem letzten Kilometer ist man gezwungen auf der asphaltierten Straße zu laufen.
Sentier du Littoral
Der Sentier du Littoral ist ein Mehrtageswanderweg. Leider ist er nicht durchgängig markiert, weshalb sich auch Tagestouren der markierten Abschnitte anbieten. Nimmt man alle markierten Abschnitte zusammen kommt man auf einen ca. 100km langen Küstenweg, der ursprünglich zur Kontrolle der Küstenregion von Zöllnern genutzt wurde. Ergänzt man die unmarkierten Sequenzen, ist der Weg deutlich länger.
Die Wegmarkierung in den markierten Abschnitten ist durchgängig gut. Vielleicht wird er in Zukunft noch als wirklich zusammenhängender Fernwanderweg angelegt, das Potenzial für eine unglaubliche Küstentour besteht hier allemal.
Mein Fokus lag auf dem westlichen Teil des Weges bis Toulon. Aktuell gibt es leider eine Wegsperrung zwischen Port D´Alon und Pointe Grenier. Sofern man dies vorher weiß, kann man auf den Sentier de Vignes umschwenken. Das Sperrungsschild kommt aber weit hinter der Abzweigung. Ich musste an dieser Stelle umkehren und wieder Richtung Bandol laufen. Mehr Informationen zur Region und den Wegen findet man auch auf der Tourismusseite von Saint Cyr sur Mer.